Ein Zeichen der Hoffnung für alle

Es ist ein Beispiel, wie inmitten eines brutalen Krieges ein Stück Hoffnung und Freude geschenkt werden kann: das dominikanische Flüchtlingsheim in Fastiw bei Kiew. Hierher kommen Mütter und Kinder, die ihre Väter verloren haben; Soldaten, deren Traumata hier therapiert werden; Menschen mit Behinderung, für die nahe der Front keiner mehr Sorge tragen konnte – und schließlich Kinder aus Cherson, einem der meistumkämpften Orte in der Ukraine, denen im 10-tägigen Ferienaufenthalt wenigstens kurz „ein Stück Kindheit“ zurückgegeben werden soll. Im Juli 2025 besuchte Dominikanerpater Thomas Brogl, ehemals Provinzial der früheren Dominikanerprovinz vom hl. Albert in Süddeutschland und Österreich (2015 – 2024) und heute Socius des Ordensmeisters für Europa in Rom, mit P. Christopher Fadok OP, Provinzial der Westprovinz der USA, das Sozialzentrum. Bewegend schildert P. Thomas seine Eindrücke und was das Projekt so besonders macht:

Zwei Jungen in der ersten Reihe beim Gottesdienst. Beide todmüde – kaum können sie sich auf den Beinen halten. Doch der eine, etwa 13, hält seine Hand beständig an der Schulter des Kleineren, etwa 8-Jährigen. Auch wenn er sie vor Müdigkeit kaum aufrecht halten kann, lässt er nicht davon ab und stützt den Kleinen – aber man hat das Gefühl: Er stützt zugleich sich selbst am kleineren Bruder…

Es ist eine Momentaufnahme – und dennoch fast so etwas wie ein Symbolbild der momentanen Situation. Bei einer Begegnung mit diesen Kindern aus Cherson, einem der meist umkämpften Orte in der Ukraine, den man als Ausländer kaum mehr betreten kann, nennen sie bei dem, was ihnen am meisten hier bei den 10 Tagen Ferien im dominikanischen Flüchtlingsheim in Fastiw bei Kiew gefällt: Dass es ruhig ist und sie weder das Pfeifen von Drohnen noch Einschläge von Raketen hören. Beides hat in diesen Tagen stark zugenommen, denn Russland hat erfolgreich seine Drohnen-Produktion hochgefahren. Die Kinder sind zu militärischen Experten geworden, was die Unterscheidung der verschiedenen Flugkörper betrifft: Welches Geräusch auf welche Waffe schließen lässt und wo sie einschlagen könnte – näher oder – hoffentlich! – weiter weg.

… dass jemand da ist und mit ihnen ist

Dass die Kinder hier sind, ist Teil der Idee des Gesamtprojekts von P. Mischa Romaniv vom Dominikanerkonvent Fastiw und seinen unzähligen Freiwilligen: Nicht nur hier vor Ort im Sozialzentrum zu helfen, sondern auch direkt an der Front, zu der sie auch regelmäßig Überlebensnotwendiges bringen (bis hin zu Mützen und Decken für die Soldaten im Winter, die in Fastiw von Helfern gemacht werden). Pater Mischa pendelt mit seinen Helfern, und schon mehrfach führte sie das in lebensgefährliche Situationen, was sie aber nicht davon abhält, sondern sie noch mehr anspornt, weil sie sehen, wie wichtig die Hilfe von außen ist – schon allein als Zeichen der Hoffnung, nicht allein gelassen zu sein. Das wird uns (P. Christopher Fadok und mir) während unseres Besuches immer wieder auch gesagt: Dass dieses Zeichen der Präsenz von uns, eines Bruders aus den USA und aus Deutschland bzw. aus Rom, wichtig ist für sie dort, wo neben konkreter Hilfe vor allem eines zählt: Präsenz; dass jemand da ist und mit ihnen ist, um der größten Gefahr zu wehren, nämlich die Hoffnung zu verlieren und dem, nachzugeben, was der Aggressoren am meisten will: Dass die Menschen gebrochen werden und damit auch der Widerstand zusammenbricht.

Entstanden durch Spenden in den USA

Der Anlass unseres Besuches ist eigentlich ein sehr schöner. Bald nach dem Ausbruch des Krieges war P. Christopher Fadok, Provinzial der Westprovinz der USA, in Kiew und Fastiw. Der Initiative seiner Provinz folgten viele Menschen – darunter etwa Brian Boitano, ein berühmter US-amerikanischer Eiskunstläufer und Olympia-Sieger, oder der „Phantom of the Opera“-Star Franc D´Ambrosio -, die selbst viel Geld sammelten, so dass letztlich über 1.000.000 Dollar zusammenkamen – fast drei Viertel dessen, was für den Aufbau des Flüchtlingsheimes von Fastiw, das P. Mischa als Ruine übernommen hatte, notwendig war. Es hat sich viel getan seit dem letzten Mal, als ich hier war Ende Oktober 2024. Als wir das Heim besuchen, ist es schon ganz lebendig bevölkert. 

St. Martin von Porres, Schutzpatron des Projekts

In einem anderen Haus in Fastiw ist ein Baum an die Wand gemalt (siehe großes Foto oben), an dessen Wurzeln der Dominikaner St. Martin von Porres (1579 – 1639), der Schutzpatron des Projekts, steht. Die unzähligen Blätter tragen alle den Namen eines Kindes, dem vor Ort geholfen wurde. Es ist ein Zeichen der Hoffnung und des Willens, noch vielen weiteren Menschen zu helfen.

Und es ist bewundernswert, was alles aufgebaut wurde: Hochtechnologische Massagegeräte, die helfen bei der Trauma-Therapie; eine „Space Cabin“, eine Eiskammer, die durch einen Kälteschock die in den Kriegserfahrungen lahmgelegten Synapsen re-starten soll; eine Salzkammer mit einer Mutter-Gottes-Statue, um mit Iodiden therapeutisch zu behandeln – und zum Relaxen; schließlich auch ein Frisierraum. Auf die Frage, warum der hier zu finden ist, antwortet P. Mischa: Weil die, die ihre Männer im Krieg verloren haben, sich selbst nicht mehr zugestehen, etwas Gutes für sich zu tun. Sie verneinen ihre eigenen Bedürfnisse. Für das Äußere wieder zu sorgen, ist ein kleiner Schritt zurück ins Leben – und dazu, sich selbst zu lieben. P. Mischa erklärt uns, dass sie die Mütter und Ehefrauen von gefallenen Soldaten in unterschiedlichen Gruppen behandeln – damit es nicht zu einem Wettstreit kommt, wer mehr Recht zur Trauer hat. Dinge, an die man selbst nie denken würde – und die doch logisch sind und von viel Erfahrung herstammen.

Ikonen auf Munitionskisten

Ein anderer Raum ist ein Werkraum: Wir sehen Modelle für Ikonen von Christus und Maria. Im Vorraum der Kapelle sehen wir die Ergebnisse aufgebaut: Dutzende kleiner Ikonen mit dem Antlitz von Christus, Maria oder einem Engel. Die Kinder von Cherson haben sie gemalt – etwas, was sie mitnehmen werden von Fastiw nach Cherson. Als P. Mischa sie am Ende unseres Gottesdienstes segnet, gibt er den Kindern mit, dass sie, wenn sie die Ikonen sehen, daran denken sollen, dass sie nie allein sind, sondern dass Jesus und Maria mit ihnen ist in aller Angst und Not.

Hinter den Ikonen der Kinder sind die Ikonen des Künstlers Alexander Klemenko aufgehängt, der mit Frau und Sohn extra gekommen ist. Wir sehen am Abend in den Nachrichten eine seiner Ikonen wieder bei der Begegnung des ukrainischen Präsidenten mit Papst Leo XIV. im Vatikan wieder – ein Geschenk damals aus der Ukraine an Papst Franziskus. Das Besondere dieser Ikonen: Sie sind auf Munitionskisten gemalt. Man sieht bei einigen noch die Stempel unter den Ikonen. Und es lässt sich zuordnen, wo die darin einst enthaltene Munition eingesetzt wurde.

Der Künstler erklärt uns, dass sein Ziel die Transformation des Todes sei. Das, was einst dem Tod diente, soll jetzt Hoffnung schenken und dem Leben dienen. Die Ikonen auf den Munitionsboxen sind Botschafter des Krieges – aber auch der Hoffnung auf Frieden in Christus. Als diese Botschafter sind sie mittlerweile in aller Welt in verschiedenen Ausstellungen unterwegs. Sie bringen den Betrachtern nicht nur das Leid der Menschen in der Ukraine nahe, sondern sammeln auch Geld für die traumatisierten Mütter und Kinder, damit – so wie in unserem Flüchtlingsheim in Fastiw – für sie Sorge getragen werden kann, wenigstens das Schlimmste an Folgen abzufedern.

Erinnerung an die Hoffnung – der Gottesdienst

Als P. Christopher Fadok die Kapelle betritt und die Wappen seiner Provinz in den Glasfenstern sieht, ist er zu Tränen gerührt. Es ist beeindruckend, was der Einsatz der West-Provinz der USA hier an Gutem bewirkt hat. Es ist nicht nur eine konkrete Hilfe, die die Menschen hier erhalten, sondern es ist ein Zeichen der Hoffnung für alle, die von dem Projekt erfahren: dass sie nicht verlassen sind und dass die Gemeinschaft der Gläubigen keine Ländergrenzen kennt.

Der Gottesdienst, den der Vikar der Ukraine P. Jaroslaw Krawiec OP mit allen Kindern und Erwachsenen – darunter auch Mitglieder anderer Hilfsorganisationen, mit denen das Flüchtlingsheim kooperiert – feiert, ist mit dem Kindergesang sehr lebendig und fröhlich. Und zugleich unendlich traurig, weil den Kindern und Erwachsenen das, was sie erlebt haben, ins Gesicht eingeschrieben ist – zudem auch die Müdigkeit, die dieser seit Jahren bestehende Zustand verursacht hat.

P. Christopher predigt über seine eigene Familie, die in einer Linie aus der Ukraine stammt, und über den biblischen Joseph, dessen Geschichte die Kinder gut kennen, und dass er wie Jesus die Erfahrung von Angst und Verlassenheit im Brunnen machen musste, aber erfahren hat, dass Gott ihm beistand und dass er sogar nach seiner Rettung seinen Brüdern helfen konnte.

Am Schluss erhalten P. Christopher und ich noch jeweils eine in Fastiw zum Teil von den Kindern und Jugendlichen geschriebene Ikone, was uns sehr bewegt.

Den Abschluss des Tages bildet die Segnung der Plakette des Hauses als „Social Center of the Most Holy Name of Jesus“ – der Namen der West-Provinz der USA. Pater Mischa sagt vor der Segnung, dass dieser Name über alle Leidenden und Kämpfenden in der Ukraine ausgerufen sein möge – als Zeichen der Hoffnung und des Friedens.

Der Tag endet mit einem kleinen Fest: Es gibt Burger, Pommes und Popcorn für die Kinder – ein kleines Zeichen für vieles, was P. Mischa hier macht. Man könnte sagen, es wäre nicht notwendig, dafür extra einen Wagen kommen zu lassen. Und doch sind es gerade diese Zeichen dessen, was über das Notwendige hinaus geht, was dieses Haus so besonders macht und gerade deshalb hilft beim Heilungsprozess.

Ich denke an Dostojewskis Satz „Schönheit wird die Welt retten“ – der Satz eines Russen, mitten in diesem brutalen Krieg. Vielleicht ist es das, was das Sozialzentrum in Fastiw so besonders macht: Dass den Menschen nach ihren unmenschlichen Erfahrungen ein Stück Schönheit und Würde – und so ein Stück Hoffnung, Freude wiedergeschenkt wird.

Dafür setzen sich P. Mischa und seine Helfer Tag für Tag mit ganzem Herzen ein. Wie P. Mischa einmal über eine äußerlich zerstörte, aber innen noch wunderbare Kirche geschrieben hat: „Diese Kirche erinnert mich an jeden von uns. In diesem Krieg können wir äußerlich verwundet sein, aber wenn wir Gott in unserem Herzen haben, gehören wir zu ihm.“ Daran die Menschen zu erinnern, machen sie sich jeden Tag neu auf den Weg – egal, was es sie kostet.

Das Projekt hat mittlerweile große Resonanz erfahren: Viele Medien waren hier und haben davon berichtet; aber auch andere Häuser, die mit vom Krieg traumatisierten Menschen arbeiten, schauen sich das Projekt an, um sich Anregungen zu holen. Auch darüber berichtet P. Mischa Romaniv (rechts) dem Provinzial der Westprovinz der USA, P. Christopher Fadok (links).

Fotos: P. Thomas Brogl OP